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«Wir dürfen die Augen vor der Realität nicht verschliessen: Konservative Kräfte sind, gerade auch auf dem amerikanischen Kontinent, stark im Aufwind.» Im Gespräch zeigt Hansueli Meier, Programmverantwortlicher für Lateinamerika bei Mission 21 und Focal Point der Fachgruppe Religion und Entwicklung, auf, weshalb unsere glaubensbasierten Südpartner sich vernetzen sollten, um konservativen Kräften eine Theologie der gelebten Inklusion entgegenzusetzen. Lateinamerikanische Partnerorganisationen von Mission 21 setzen sich für Frauen, für Indigene und für Homosexuelle ein. Und werden deshalb manchmal selber ausgegrenzt.
Madeleine Bolliger (Koordinatorin KoGe): Was versteht man unter «Faith-Based Organisations» – kurz FBOs? Liege ich richtig, wenn ich von einem Sammelbegriff spreche?
Hansueli Meier: Beim Begriff Faith-Based Organisations handelt es sich tatsächlich um einen Oberbegriff. Das Hauptkriterium ist, einen kirchlichen oder religiösen Hintergrund zu haben. FBOs können Kirchen sein, es können sozialdiakonische Projekte sein, es gehören aber auch unterschiedliche theologische Bildungsinstitutionen dazu. Wie die Begriffe «Religion» und «Theologie» ist auch der Begriff «FBO» selber ambivalent. Religion und Theologie sind nicht einfach per se positiv. Es gibt zum Beispiel die ganze Spannbreite von lebensfördernden Theologien bis hin zu Theologien, welche das Leben einschränken. Genau so gibt es auch FBOs, die sehr offen sind, bewusst alle gesellschaftlichen Kreise einbeziehen und somit einen inklusiven Ansatz leben. Und es gibt andere FBOs, die eine enge Doktrin haben und nur den «eigenen Garten bewirtschaften». Das ist natürlich nicht nur eine religiöse Frage, sondern auch eine gesellschaftliche. Die Faustregel ist: Konservative Gesellschaften verstärken in der Regel konservative Tendenzen in den Kirchen! Im Rahmen der Entwicklungszusammenarbeit, das ist klar, unterstützen wir nichts konfessionell Geschlossenes oder Ausschliessendes. Aber wir dürfen die Augen vor der Realität nicht verschliessen: Konservative Kräfte sind, gerade auch auf dem amerikanischen Kontinent, stark im Aufwind.
Wie stark sind deiner Meinung nach diese ausgrenzenden Strömungen in Kirchen und anderen FBOs?
Leider wage ich zu behaupten, dass es die Mehrheit ist innerhalb des sogenannten «Weltsüdens». Ich spreche hier von konservativen Kirchen mit einem uniformen Weltbild und ohne Platz für eine kritische Auseinandersetzung mit diesem. Dies führt in aller Regel zu ausgrenzenden Tendenzen. Die Beispiele der Wahlen in Brasilien und Costa Rica haben gezeigt, dass diese Kirchen am Erstarken sind. Brasilien ist das extremste Beispiel mit der Machtübernahme von Bolsonaro, der von diesen Kreisen massiv unterstützt wurde. Aber auch in Costa Rica wäre fast jemand mit ähnlichem Profil an die Macht gekommen.
Gibt es Gegenbeispiele?
Ja. In Lateinamerika zum Beispiel gibt es die Theologie der Befreiung. In ihrem Zentrum steht die Befreiung des Menschen, die Überwindung von Grenzen sowie die Unterstützung von Minderheiten und Ausgegrenzten – seien es die Frauen, die indigene oder auch die afroamerikanische Bevölkerung.
Im Grunde geht es hier um das Thema Inklusion generell. Nehmen wir die Themen Peace, Justice and Inclusion, die dem Konzept SDG 16+ zugrunde liegen: «Peace» und «peaceful» – das ist theologisch einfach zu erklären. Die christliche Religion und Theologie ist hier sehr klar. Überhaupt haben viele Religionen ein Friedenskonzept. Mit der Gerechtigkeit ist es dasselbe: Auch hier spricht die biblische Tradition klare Worte. Und zumindest in der Theorie weiss man doch recht genau, was gerecht ist. Aber bei der Inklusion, da wird es schwieriger. Hier finden wir im religiösen Bereich beides: Positive Beispiele, die lange nachhallen. Aber auch negative Beispiele von Gemeinschaften, die Frauen, Indigene, Homosexuelle, aber auch schlicht und ergreifend Andersdenkende, also kritische Menschen, ausgrenzen.
In der KoGe arbeiten wir nicht mit solchen ausgrenzenden Strömungen zusammen, aber wir haben eine Pflicht, achtsam zu sein. Falls einem etwas auffällt, sollte man ins Gespräch kommen. Ich denke, es ist ein riesiger Vorteil, dass viele Partnerwerke der KoGe langjährige Beziehungen pflegen zu ihren Südpartnern. Das bedeutet Vertrauen. Wenn Vertrauen da ist, kann man auch unbequemere Themen ansprechen.
Was für Partner habt ihr denn bei Mission 21 und wie beugt ihr solchen Strömungen vor?
Unsere Partnerorganisationen in Lateinamerika vertreten eine Theologie, welche sich in der befreiungstheologischen Tradition einreiht. Je länger desto mehr sehen sie sich in der Pflicht, innerhalb der Bevölkerung und auch innerhalb der Kirchen Bewusstseinsarbeit zu leisten, um genau solchen Auswüchsen entgegenzuwirken. Das Thema Fundamentalismus brennt den Partnern unter den Nägeln. Gerade mit ihrem kritischen Zugang zu Religion, also kritisch im Sinne von «reflektierend und differenzierend», sind sie prädestiniert, um an dieser Thematik zu arbeiten. Sie können Gegensteuer geben, sie können sensibilisieren und sie können den Menschen aufzeigen, was die Gefahr ist. Leider ist diese real, und davor sollten wir unsere Augen nicht verschliessen. Wir haben zum Beispiel eine Partnerorganisation in Peru, die in Untermiete bei anderen FBOs ist. Sie muss regelmässig einen neuen Sitz suchen, weil sie immer wieder herausgeworfen wird. Ihr Diskurs ist diesen Organisationen zu liberal. Wenn du zu offen bist, kann es passieren, dass du von der Mehrheit ausgegrenzt wirst.
Eure Partner in Lateinamerika, so verstehe ich dich, vertreten eine befreiende Spiritualität und einen Glauben, der auf der Inklusion basiert. Hast du ein konkretes Beispiel für ihre Arbeit?
Es gibt viele kleine, aber feine Beispiele! In Costa Rica haben wir eine theologische Partnerorganisation, das Departamento Ecuménico de Investigaciones (DEI), die Kurse durchführt für AktivistInnen aus ganz Lateinamerika, also Menschen, welche in sozialen Bewegungen tätig sind, sich zum Beispiel gegen die Abholzung ihrer Wälder einsetzen. Insgesamt geht es in diesem Programm um die Stärkung dieser Personen als Agents of Change. Eine ganz wichtige Rolle spielt auch, dass diese Menschen aus ihren Konfliktsituationen in Honduras, Nicaragua und anderen Ländern (…)
(…) herauskommen und einen Monat lang einen geschützten Hafen in einem sicheren Land (Costa Rica) vorfinden. Sie können sich von der Angst und dem Stress erholen. Gleichzeitig besuchen sie einen Intensivkurs, wo sie mit anderen AktivistInnen zusammen ihr Engagement reflektieren – auch theologisch. Danach gehen sie zurück in ihre Länder, das Netzwerk aber bleibt. Die Tatsache zu wissen, dass sie nicht allein sind, stärkt diese Menschen.
Ein weiteres Beispiel sind die theologischen Hochschulen, mit welchen wir in Lateinamerika zusammenarbeiten. Sie behandeln während der theologischen Ausbildung bewusst und mutig auch heikle gesellschaftliche Themen. Sie setzen sich für diskriminierte Bevölkerungsgruppen ein, unter anderem für homosexuelle Menschen. Unsere Partnerorganisation Unversidad Biblica Latinoamericana (UBL) in Costa Rica zum Beispiel organisiert öffentliche Veranstaltungen zum Thema «Homosexualität in der Bibel». Und zwar in einem positiven Sinn. Es gibt sogar YouTube-Videos zu diesen Vorträgen.
Siehst du hier einen Mehrwert unseres Zusammenschlusses? Können wir ein Bollwerk gegen fundamentalistische Strömungen sein, indem wir FBO Partner, die inklusiv sind, stärken?
Das glaube ich. Genau deshalb ist so ein Workshop wie unser KoGe Workshop für FBOs in Kuba auch sinnvoll. Weil wir verschiedene FBOs, die ähnlich denken, zusammenbringen, sie gemeinsam stärken und ihnen helfen, sich zu vernetzen.